Wenn welten aufeinandertreffen
Viele Menschen denken: „Dolmetschen ist doch nicht so schwer, der eine sagt was, und dann muss man das gleiche einfach nur in der anderen Sprache sagen! Das könnte ich auch, ich hab in der Schule mal Englisch gelernt…“
Doch ein Dolmetscher ist nicht einfach „nur“ Dolmetscher: Er ist unter anderem Sprachmittler, kultureller Vermittler, Brückenbauer, uvm.
Dass zum Dolmetschen dann doch „etwas“ mehr gehört als Fremdsprachenkenntnisse, lässt sich am besten anhand eines Beispiels erklären:
Stellt euch die folgende Situation vor: Ihr werdet beauftragt, bei einem Meeting zwischen einem spanischen und einem deutschen Firmenboss zu dolmetschen. Nennen wir die beiden der Einfachheit
halber Herr Schmidt und Señor González. Sie wollen wichtige Gespräche führen, mitunter Vertragsbedingungen etc. besprechen, weshalb sie es bevorzugen, sich jeweils in ihrer Muttersprache
auszudrücken. Es ist also euer Job, die Kommunikation zu gewährleisten bzw. überhaupt erst zu ermöglichen. Ohne euch geht nichts.
Aber bereits am Anfang des Meetings werden dem Dolmetscher kulturelle Kenntnisse abverlangt, denn: Herr Schmidt möchte nach einer kurzen Begrüßungsfloskel - typisch deutsch - ohne groß um den
heißen Brei zu reden, gleich auf den Punkt kommen.
Doch für den Spanier gebietet es die Höflichkeit nach dem Aufeinandertreffen einen kleinen Plausch zu halten. Er fragt nach dem Befinden seines Gegenübers, macht Witze über das regnerische Wetter
und möchte im Gegenzug beispielsweise gefragt werden, wie seine Reise verlief.
Herrn Schmidt dauert das zu lange, er kommt gleich zum wesentlichen und geht nicht sonderlich auf den Versuch, Nettigkeiten auszutauschen ein. Etwas verstimmt beginnt Sr. González dann ebenfalls
die Verhandlungen.
Nun ist es sinnvoll, dass der Dolmetschers auf diese kulturellen Unterschiede hinweist.
Dies kann er während des Gesprächs machen oder möglicherweise bereits vorher. Er ist der einzige im Raum, der beide Kulturen kennt und somit für Aufklärung sorgen kann.
Gut, die Gespräche beginnen. Herr Schmidt legt los und wirft mit beeindruckenden Fachwörtern um sich, die die meisten Menschen erstmal googeln müssen, und benutzt dazu noch einen ganzen Haufen firmeninterner Begriffe.
Und jetzt? Wer schon bei der Vorstellung daran, Schweißausbrüche bekommt, für den ist der Beruf des Dolmetschers möglicherweise nicht ganz der richtige. Denn man hat nicht die Zeit, die man beim Übersetzen am seinem Schreibtisch hat. Man kann weder recherchieren, noch Wörterbücher wälzen oder mit dem Smartphone googeln. Allein die Vorstellung, der Dolmetscher würde in so einer Situation sein Handy zücken und rufen: Moment, moment ich hab´s gleich! Ich muss nur kurz..." Nein, ich kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, diesen Dolmetscher würde keine der beiden Firmen mehr beauftragen.
Ein guter Dolmetscher aber, der etwas von seinem Handwerk versteht, hat die Hilfe von Google & Co. gar nicht nötig - zumindest nicht WÄHREND des Einsatzes.
Denn das ist es was viele Auftraggeber vergessen: die Vorbereitung. Ohne Vorbereitung geht meistens gar nichts. Der Dolmetscher benötigt so viele Informationen vom Auftraggeber wie möglich. Abgesehen von Ort und Zeit des Einsatzes ist natürlich das Thema, über welches gesprochen wird, am wichtigsten. Eine große Hilfe ist es, wenn vorab Glossare mit firmeninternen Fachbegriffen etc. zur Verfügung gestellt werden. Mit all diesen Informationen kann der Dolmetscher dann anfangen sich vorzubereiten, indem er Inhalte oder entsprechende Übersetzungen recherchiert, Glossare lernt uvm. Er soll sich so gut wie möglich mit der Materie auskennen, da es sich wesentlich leichter und vor allem richtig dolmetscht, wenn man weiß, wovon gerade die Rede ist. Diese Vorbereitungszeit dauert meistens länger als der Einsatz selbst, ist aber essentiell, um die Inhalte richtig zu übermitteln. Und sollte doch der ein oder andere unbekannte Begriff auftauchen, kennt der Dolmetscher meist einen cleveren Weg damit umzugehen.
Zurück zu unseren beiden Geschäftsmännern:
Kurz nach 17 Uhr ist die Arbeit getan, alle Bedingungen sind -trotz anfänglicher Schwierigkeiten- ausgehandelt, und die Beteiligten sind höchstzufrieden.
Jetzt, nachdem alles Geschäftliche geregelt ist, freut sich Herr Schmidt auf den Feierabend und schlägt seinem Gast vor, gleich in einem nahegelegenen Restaurant zusammen zu Abend zu essen. Nach
einem Blick auf die Uhr beginnt Sr. González jedoch zu lachen, da er die Frage für einen Scherz hält. Herr Schmidt verzieht irritiert das Gesicht und fragt gekränkt, was denn daran so lustig
sei.
Auch hier ist es an euch, Herrn Schmidt zu erklären, dass in Spanien üblicherweise erst zwischen 20:00 Uhr und 22:00 Uhr zu Abend gegessen wird und, dass Sr. Gonzalez es sicherlich nicht böse
meint, da er anscheinend die deutschen Essenszeiten ebenso wenig kennt.
Deutschland und Spanien liegen geografisch gesehen nicht sehr weit voneinander entfernt und doch gibt es durchaus einige kulturelle Unterschiede. Manche mögen nicht besonders gravierend sein, dennoch können sie zu unschönen Missverständnissen führen.
Die Rolle des kulturellen Vermittlers ist nur eine zusätzliche Aufgabe des Dolmetschers. Denn wenn sprachlich und kulturell unterschiedliche Welten aufeinandertreffen, gehört weit mehr als
Fremdsprachenkenntnisse dazu, wie etwa kommunikative Fähigkeiten, stete Weiterbildung, Disziplin bei der Vorbereitung uvm. Gleichzeitig soll der Dolmetscher "unsichtbar" bleiben, d.h. er darf
keine Rolle in dem Gespräch an sich spielen, also weder den Verlauf noch Inhalte verändern.
An dieser Stelle könnte man noch reichlich Aufgaben des Dolmetschers und Schwierigkeiten seiner Arbeit aufzählen, allerdings wird dieser Artikel dann doch etwas zu lang ;)
Ich hoffe, ich konnte einen kleinen Einblick in die Arbeit des Dolmetschers vermitteln, und habe diejenigen, die mit dem Gedanken spielen, vielleicht einmal selbst Dolmetscher zu werden, nicht allzu sehr verunsichert. Denn trotz dieser kleinen Schwierigkeiten, auf die man möglicherweiße (!) trifft, ist es ein spannender Beruf, der nie langweilig wird, bei dem man viele interessante Menschen trifft und jeden Tag Neues lernt.
Ich möchte noch anmerken, dass ich den Dolmetscher hier stets in der männlichen Form erwähnt habe, dies dient lediglich der Einfachheit.
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